Sonntag, 31. Mai 2009

Pfingsten

Wenn ich so an die Pfingstfeste meiner Kindheit und frühen Jugend zurückdenke, dann assoziiere ich damit eigentlich in erster Linie schönes Wetter. Meistens schien die Sonne auf das junge frische Grün, und sofort nach dem pflichtschuldigst abgesessenen Pfingstgottesdienst fuhren wir in die vielgeliebten, wenn auch kurzen Pfingstferien.
Die anderen Feste, Weihnachten mit Baby und Hirten, aber auch Ostern mit dem gruseligen Kreuz und dem seltsamen leeren Grab waren für mich schon als Kind von starker Symbolik, aber mit Pfingsten und dem Geist konnte ich kaum etwas anfangen, auch nicht mit den feurigen Zungen, die wir im Religionsunterricht sich auf bärtige Männerhäupter niedersenkend malen sollten.
Dies änderte sich erst, als ich später begann, die Welt zu bereisen, andere Länder und Kulturen kennenlernte, und besonders fremde Sprachen begannen, eine ganz besondere Faszination auf mich auszuüben.
Da entdeckte ich die Pfingstgeschichte auf einmal ganz neu. Das Sprechen in fremden Zungen, das Hören-und Verstehen können in der eigenen Sprache erweckte in mir Begeisterung !
Die komplizierten, kaum aussprechbaren Ländernamen in der Pfingstgeschichte wurden mir zur plastischen Darstellung meiner eigenen Erfahrung mit der Fremdheit von Menschen und Kulturen, und die Pfingstgeschichte bestärkte meinen Drang, diese Fremdheit zu überwinden.

Ja, und mit der Vermutung "sie sind voll des süßen Weines" wusste ich als Tochter eines Rheinländers auch etwas anzufangen. Auch hatte ich zunehmend Erfahrungen gemacht mit dem beglückten Rauschzustand, in den einen plötzlich aufbrechende Verständigung, plötzlich gelingende Kommunikation versetzen kann.
Seit dieser Zeit gehört mir die Pfingstgeschichte zu den liebsten Passagen in der Bibel. Oft habe ich sie zusammen gelesen mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Da versuchen die Menschen, einen größenwahnsinnigen, totalitären Einheitsturm zu bauen, und Gott bestraft sie für dieses Ansinnen auf furchtbare Weise: Er entzieht ihnen die Möglichkeit, sich zu verständigen. Die Pfingstgeschichte nun ist eine Anti-Geschichte zur Turmbau-Erzählung: Verständigung ist möglich, man muss es nur wollen und Augen und Ohren dafür offen halten.

Der Geist von Pfingsten vermittelte keine Einheitssprache, so eine Art Esperanto des ersten Jahrhunderts, sondern die Möglichkeit der Verständigung trotz des Fortbestehens unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Identitäten. Weil Pfingsten das Fest der Vielfalt ist, innerhalb derer doch Gemeinschaft und Verstehen möglich sind, könnte es wirklich keinen besseren Termin für den "Karneval der Kulturen" geben.

Unterschiedliche Muttersprachen und trotzdem Verständigung-das ist der spektakuläre Aspekt an Pfingsten. Aber auch innerhalb einer Muttersprache ist gelingende Kommunikation ja keineswegs eine Selbstverständlichkeit, auch wenn sich das nach außen hin weniger dramatisch ausnimmt.

Es ist für mich eine große Belastung, zu spüren, daß auch meine Sprechweise manchmal Menschen außen vor läßt. Es ist mir aber auch eine Beruhigung, in der Pfingstgeschichte zu lesen, daß dort nicht unbedingt alle Beteiligten auf einmal fremde Sprachen sprechen konnten, sondern daß alle die anderen in ihrer Sprache hörten. Vielleicht hat ja dann auch meine Sprache, trotz ihrer Begrenzungen durch Herkunft und Bildung, die Chance, von anderen Menschen verstanden und als ihre Sprache gehört zu werden. Wenn das geschieht, so denke ich, ist der Geist von Pfingsten mit im Spiel.